Autor: Eberhard Holste, Bad Harzburg
Flechten:
Die Flechten sind Lebensgemeinschaften zwischen je einer Alge und einem Pilz. Durch die Natur des engen symbiotischen Zusammenlebens hat der Vegetationskörper der Flechte (Thallus) Merkmale entwickelt, die weder Alge noch Pilz in Einzelkultur aufweisen.
Beim Algenpartner (Phycobiont) treten meist einzellige oder fädige Formen der Grünalgen und Blaualgen auf. Beim Pilzpartner (Mycobiont) finden sich meist Schlauchpilze (Ascomyceten), in wenigen Ausnahmen Ständerpilze (Basidiomyceten). Bei den Schlauchpilzen überwiegen Formen mit schüsselförmigen Fruchtkörpern (Apothecien); Formen mit eingesenktem Fruchtkörpern (Perithecien) kommen auch vor. Der Pilzpartner bestimmt in der Regel das äußere Erscheinungsbild des Vegetationskörpers, der Algenpartner ist über Photosynthese Lieferant für Kohlenhydrate.
Drei Haupttypen der Wuchsformen lassen sich unterscheiden:
1. Krustenflechten:
Der Thallus ist fest mit der Unterlage (Substrat) verwachsen, dass er nicht oder nur schwer abgelöst werden kann (z.B. Acarospora, Buellia, Micarea, Pertusaria, Porpidia, Rhizocarpon).
2. Blattflechten:
Der Thallus ist mehr oder weniger rundlich und besteht aus blattartigen Lappen mit deutlicher Ober- und Unterseite. Auf der Unterseite sind Haftorgane (Rhizinen) ausgebildet, mit denen die
Flechte am Substrat befestigt sein kann (z.B. Hypogymnia, Lecanora, Parmeliopsis, Peltigera).
3. Strauchflechten:
Der Thallus ist bandförmig oder drehrund und meist recht verzweigt und mit Rhizinen oder Haftscheiben am Substrat befestigt. Die fädigen, oft hängenden Formen werden als Bartflechten
bezeichnet. Einige Strauchflechten weisen stil- oder trichterartige Gebilde auf, die an der Spitze mehrere Fruchtkörper tragen. Diese Trägerorgane bezeichnet man als Podetien (z.B. Cladonia,
Dibaeis, Stereocaulon).
Flechte und Naturschutz
Aufgabe des Naturschutzes ist, sich um die Erhaltung der Manigfaltigkeit von Flora und Fauna sowie der Vielfalt der ökologischen Bedingungen zu kümmern unter denen Organismen leben,
also um die Bewahrung der Biodiversität, d. h. in der Regel soll Natur- und Kulturlandschaft in der derzeitigen Vielfalt bewahrt bleiben. Daher verdient die Gefährdung einer Mauer im Prinzip
ebenso Beachtung wie die eines natürlichen Feuchtbiotopes.
Trotz aller Kenntnisse über die komplexen Verknüpfungen in den Lebensgemeinschaften und die Folgen von Störungen in ihnen, wird die biologische und ökologische Mannigfaltigkeit um uns
laufend eingeschränkt, eine Folge von Ahnungslosigkeit oder auf kurzfristigen Profit ausgerichtetes Denken.
Traditionell hat sich der Natur- und Umweltschutz in erster Linie auf die auffallenden und daher gut bekannten vertrauten Organismen gekümmert: um Säugetiere, Reptilien oder Schmetterlinge,
um Blütenpflanzen, unter ihnen besonders die attraktiven , wie den Orchideen. Ihr Verschwinden fällt vielen auf, und die sichtliche Verarmung ruft verantwortungsvolle Ökologen wie
Naturliebhaber auf den Plan. Der Schwund an Arten bei vielen anderen Organismengruppen wird daher häufig nicht bemerkt, obwohl auch diese wichtige Glieder unserer Umwelt sind. Unauffälligkeit
oder auch nur mangelnde Kenntnis dieser Organismen ist der Grund, dass sie übersehen werden. Unauffälligkeit oder Kleinheit ist jedoch kein Argument für eine Nichtberücksichtigung im
Naturschutz. Pflanzen, Pilze und Tiere sind Teil eines komplizierten Gefüges, und ihr Verschwinden bedeutet einen Verlust an genetischer und biochemischer Information, über dessen
Konsequenzen wir viel zu wenig wissen.
Dies gilt auch für Flechten. Allein in Mitteleuropa bereichern sie mit mehr als 2000 Arten unsere Umwelt und sind bedeutende Bestandteile von
Ökosystemen, vor allem von Wäldern, Magerrasen und Felsbiotopen. Doch sehr viele Arten sind stark zurückgegangen oder hochgradig gefährdet, in der Regel durch die Vernichtung ihrer Habitate.
"Bringen" uns die Flechten etwas im Naturschutz? Genügt es nicht, sich traditionell den Blütenpflanzen und einigen Tiergruppen zu widmen, anstatt sich der Mühe zu unterziehen, zahlreiche
Spezialisten zu befragen, die mehr oder weniger unscheinbare Organismen vertreten? Flechten zählen zu den am stärksten gefährdeten Organismen überhaupt. Rund 61 % der Arten geben sich ein
Stelldichein in der Roten Liste der Bundesrepublik Deutschland. Die Frage, ob Flechten in Artenschutzbemühungen einbezogen werden sollten oder nicht, beantwortet sich daher von selbst.
Das Naturschutzgebiet "Blockschutthalde am Rammelsberg"
Alte Bergwerkshalden tragen eine ganz spezifische, auf schwermetallreiche Substrate spezialisierte Flechtenflora, und zwar auf Gestein und Mineralboden. Diese Flora hat ihre ursprünglichen
Standorte an austretenden Erzgängen an natürlichen Felspartien. Da diese längst abgebaut wurden, stellen die Abraumhalden alter Bergwerke oder die Jahrhunderte alten schwermetallreichen Schlacken
der Erzverhüttung wichtige Sekundärhabitate für diese seltenen Arten dar. Besonders bekannt sind die Erzflechtenvorkommen auf den mittelalterlichen Schlackenhalden des Harzes um Goslar, die in
neuerer Zeit bis auf wenige Reste vernichtet worden sind. Im übrigen Deutschland sind diese Habitate äußerst spärlich. Die meisten Abraumhalden sind zudem zu jung und besitzen zu wenig größere
Steine und Blöcke, um den gesteinsbewohnenden Erzflechten adäquate Standortbedingungen zu bieten. Diese Arten sind zum Teil absolute Raritäten.
Kommunionssteinbruch
Erzausbiss des Alten Lagers
Am Rammelsberg existieren noch kleinere Erzausbisse, schwermetallreiche Erzblöcke und Mineralböden, daher war es folgerichtig, diesen Bergbaubereich 1983 als Naturschutzgebiet "Blockschutthalden
am Rammelsberg" auszuweisen.
Am Rammelsberg sind bisher 66 Flechtenarten festgestellt worden, davon 24 Rote-Liste-Arten. (siehe Galerie)
1999 hat sich gezeigt, dass dieser Schutz allein nicht ausreicht, die seltenen Flechten zu schützen, weil eine zunehmende Verbuschung und Bewaldung der Blockschutthalde und des Kommunionssteinbruchs einsetzte. Die weitere Vegetationsentwicklung hätte den Flechtenbestand mittel- bis langfristig verdrängt. Ein kontrollierter Kahlschlag im Kommunionssteinbruch 1999 vor allem durch ein ehrenamtliches Engagement des Vereins Natur- und Umwelthilfe Goslar e. V. und der Bundeswehr in Goslar bewirkte, dass für Jahrzehnte nicht mehr in die Vegetationsentwicklung eingegriffen werden muss.
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